Bericht zum Haydn-Konzert
von Stephan Trapp
Hossa, Haydn! Von einem Konzertabend, der die Herzen bewegt und Selzen schmückt.
Sommer in Selzen. Einer dieser Tage, an denen man schmilzt, auch ohne jede Regung. Die Sonne meint es gut mit Rheinhessen. Die Reben freuen sich und lachen, der Mensch tropft. Trotzdem ist Selzen in Bewegung: Wer sich am Sonntag, den 25. Juni 2023, durch die flirrende Luft der evangelischen Kirche nähert, hört nicht nur Grillenzirpen, sondern auch die Klänge vieler voller Stimmen aus dem Gemeindehaus. Sie bereiten sich vor auf den letzten der vier Auftritte des Oratoriums „Die Jahreszeiten“ von Joseph Haydn.
Die Mauern der fast 300 Jahre alten evangelischen Kirche sind mächtig. Und die Konzertbesucher, die um 16:30 Uhr vor ihr Schlange stehen, hoffen wohl alle auf gemäßigtere Temperaturen in ihrem Inneren. So viel Spoiler sei erlaubt: Die Hoffnung wird nur teilweise erfüllt. Am Ende des Konzerts sogar eher ins Gegenteil verkehrt. Aber, auch das sei vorweg genommen, das stört hier niemanden. Den Abend werden Konzertgäste und musikalisch Mitwirkende sicher noch lange in besonderer Erinnerung halten.
Um 17 Uhr sind alle Kirchenbänke voll besetzt. Die Programmhefte dienen bereits als Fächer. Da füllt sich auch der Altarraum: Es treten ein – die Kammerphilharmonie Europa aus Köln, die Solisten Gunda Baumgärtner (Sopran), Florian Löffler (Tenor) und Thomas Herberich (Bass). Und der Chor – eine stattliche Anzahl von Sängerinnen und Sängern aus der Kantorei Selzen, dem Oratorienchor Kirchheimbolanden und der Konzertgesellschaft Bad Kreuznach. Unter der Leitung von Stefan Wasser, der trotz Wärme beeindruckend agil auf dem Dirigentenpodest in Position begibt. Die Dynamik des musikalischen Leiters bleibt bis zur letzten Sekunde Konzerts beeindruckend; Stefan Wasser kennt kein Pardon – und alle gehen mit; das hört man, und es hört sich grandios an.
Jede der vier „Jahreszeiten“ nimmt die Zuhörerinnen und Zuhörer ein. Nicht nur, weil die erbrachte musikalische Leistung staunen lässt, auch, weil Haydns Werk so lebensnah und freudvoll daher kommt. Im „Frühling“ hört man die Erde wiedererwachen. Im „Sommer“ tost ein SommergewiQer los, bevor der Tag dann doch noch heiter ausklingt. Dann ist Pause, und Stefan Wasser wechselt das völlig durchnässte Hemd für den zweiten Teil des Oratoriums.
Der „Herbst“ ist ganz offensichtlich die am meisten geschätzte Jahreszeit der Sängerinnen und Sänger. Und man könnte meinen, die neue Hymne des Chors: „Juche! Juche! Der Wein ist da, die Kannen sind gefüllt. Nun lasst uns fröhlich sein. Und juche, juche, juch aus vollem Halse schrei’n!“ Es ist genau diese Strophe, die als Zugabe das letzte bisschen Sauerstoff aus der Kirche atmet. „Es lebe der Wein!“ Laut und erlösend tönen die Zeilen aus allen Kehlen und Instrumenten durchs Gemäuer. Und leiten über in den leiseren „Winter“.
Haydns „Jahreszeiten“ brachten Selzen zum Klingen und füllten die Herzen aller mit Gefühl und besonderem Genuss. Die tosenden Klänge von Chor und Orchester, genauso wie die mitreißenden Arien der Solisten, schmückten den Kirchenraum in besonderer Weise. Musik, die man fühlt. Die laut ist und wohltuend. Auch wenn die schlauen digitalen Geräte zwischendurch eine Warnung ausgaben, dass man ab 90 Dezibel über einen längeren Zeitraum Schäden erleiden kann. Gerade weil es gefühlte und gelebte Musik war, werden die „Jahreszeiten“ noch lange in allen weiter klingen.
Juche!
Katharina Kohl